Die Ausbildung eines Paradigmenwechsels

Lösungsfokussierte Kompetenz

Neue Wege beschreiten: Anstatt Probleme analysieren, Lösungen finden und analysieren. 

Wir wissen heute über die allermeisten Probleme enorm viel. Wir sind Experten im Wissen über Probleme, wie sie entstehen, wie sie funktionieren und auch wie man sie erzeugt. Und was oder wie viel wissen wir über Lösungen? Die meisten Leute wissen ziemlich genau wie man eine Ehe nachhaltig zerstört. Wie viel wissen sie aber darüber wie eine gute Ehe nachhaltig funktioniert? Wie viel wissen wir wirklich über Lösungen, wie sie funktionieren und wie man sie erzeugt? Dramatisch ist das bei den ganz grossen Problemen, dem Krieg, der Pandemie und dem Klimawandel. Wie Kriege, Pandemien und der Klimawandel entstehen, darüber gibt es heute unglaublich viel Wissen und es nimmt ständig zu; denn wir investieren enorm viele Ressourcen in die Erforschung dieser Probleme. Das bedeutet aber keineswegs, dass wir deswegen auch sehr viel über Lösungen wissen. Beim Krieg haben wir wenigstens einen Begriff und einen Namen für die Lösung: Frieden; was aber noch nicht heisst, dass wir wirklich viel darüber wissen, wie Frieden funktioniert und wie er nachhaltig hergestellt und erhalten wird – man denke nur an Afghanistan. Bei der Pandemie und beim Klimawandel ist es noch viel dramatischer: Wir haben zwar einen Begriff für die Bezeichnung des Problems aber wir haben noch nicht einmal einen Namen für den Lösungszustand, geschweige denn wissen wir wie die Lösung funktioniert, der Zustand, wenn die Pandemie oder der Klimawandel verschwunden sind (nach der Wittgenstein’schen Definition von Lösung: „ Die Lösung des Problems [...] merkt man am Verschwinden dieses Problems.“ TLP 6.521)
 
Dieses seltsame Nicht-wissen über Lösungen hat etwas damit zu tun, dass wir ein Paradigma oder eine Denk- und Kommunikationsweise bevorzugen, die auf die Analyse von Problemen und ihrer Entstehung zugeschnitten ist. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass wir überzeugt sind, dass es für eine Lösung ein Problem braucht; ohne Problem keine Lösung. Es heisst ja auch „Problemlösen“ und nicht „Lösungfinden“. Man kann hier Albert Einstein bemühen, der es auf den Punkt gebracht hat: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Wenn die Denk- und Kommunikationsweise des Problemlösens nicht zielführend ist, was dann? Dann müssen wir neue Wege beschreiten. Dann brauchen wir ein anderes Paradigma oder eine andere Denk- und Kommunikationsweise, eben eine für die Entstehung und Erzeugung von Lösungen. Anstatt „Problemlösen“ brauchen wir „Lösungfinden“.
 
Dieses andere Paradigma wird Lösungsfokussierung genannt. Es ist eine andere Denkweise, eine andere Sprache, ein anderes Interaktionsmuster. Kurz gesagt, bedeutet Lösungsfokussierung systematische Lösungsanalyse: Systematisch analysieren und beschreiben wie das Erwünschte funktioniert oder funktionieren würde, wenn wir es gefunden hätten. Die Sprache, die man dazu braucht, ist nicht die gleiche wie die, mit der Probleme analysiert werden. Am deutlichsten wird es bei den Fragen, die gestellt werden: Die Standardfragen im problemanalytischen Paradigma lauten: Warum funktioniert es nicht? Wo liegt der Fehler? Wer ist schuld? Die lösungsfokussierten Standardfragen dagegen lauten: Was funktioniert? Wie funktioniert es? Was machst du anders, wenn es funktioniert? Es geht aber um mehr als nur um Fragen. Es braucht erstens die grundlegende Unterscheidungsfähigkeit zwischen Problem (was nicht funktioniert; not so good stuff) und Lösung (was funktioniert, good stuff); zweitens ist ein Entscheid erforderlich, nämlich wofür man sich interessiert, worauf man hört und worauf man die Aufmerksamkeit richtet. Und drittens ist die Fähigkeit notwendig, die Aufmerksamkeit systematisch auf Lösungen zu richten auch und vor allem in der Kommunikation, um das zu verstärken, was zur Lösung gehört. Harry Korman, ein schwedischer lösungsfokussierter Psychiater und Kommunikationsforscher, hat es so zusammengefasst: Listen, select, amplify. Wir am Istituto nennen das die LISA-Fähigkeiten: Hör zu, lies aus, was zur Lösungsbeschreibung gehört, und verstärke das.
 
Ich hatte diese Kompetenzen in der Form der Lösungsfokussierung der Schule von Milwaukee, deren bekannteste Exponentinnen Steve de Shazer und Insoo Kim Berg waren, in den späten 1990er Jahren entdeckt. Obwohl ich die lösungsfokussierte Gesprächsführung anfänglich – aus der mir damals noch eigenen Perspektive des problemlösenden Paradigmas - für zu kompliziert und in der Praxis nicht brauchbar hielt, habe ich diese Kompetenzen erstaunlicherweise erlernt. Ich habe sie in der Praxis als Anwalt, Verhandlungsführer, Mediator und Coach ausprobiert, sie für gut befunden und mir zu eigen gemacht. Heute würde ich sagen, der Schlüssel dazu war die Entdeckung, dass es ein anderes Paradigma ist, ein anderes Mindset wie man heute sagt. Ich habe mir dieses andere Paradigma buchstäblich einverleibt, indem ich es systematisch anwandte und lernte, anders zu denken, zu kommunizieren und zu interagieren. Und ich habe tatsächlich alle Gespräche lösungsfokussiert geführt und dabei den Nutzen für meine Kunden erlebt. Es funktioniert – nicht nur bei mir, sondern bei sehr vielen anderen weltweit. Erstaunlich ist, dass dieses Paradigma in ganz unterschiedlichen Settings und Kontexten nachweislich besser funktioniert als herkömmliche Ansätze und Herangehensweisen, von der Psychotherapie über die Sozialarbeit zur Pädagogik und über das Executive-Coaching in die Führung und die Organisationsentwicklung.

Als ich das erkannte und es mir selbst immer besser gelang – und meine Kunden ihre (eigenen!) Ziele schneller und vor allem selbständig erreichten, begann ich mich vor rund 10 Jahren damit zu beschäftigen, wie man diese Kompetenzen im Sinne eines Paradigmenwechsels lernbar machten kann. Ich wollte, dass dieses Wissen, diese Lösung, leicht zugänglich ist für alle, egal in welchem Beruf sie arbeiten oder wie sie leben. So entstand die Ausbildung „Lösungsfokussierte Kompetenz“. Ein Lerngang zur Anbahnung eines Paradigmenwechsels, einer anderen Denk- und Kommunikationsweise. Ich habe auch hier neue Wege beschritten. Wir am Istituto und viele unserer  Teilnehmenden finden: Es bringt’s. Das Denken, die Kommunikation und die Gesprächsführung verändern sich günstig durch die Ausbildung – weg vom tendenziell unproduktiven Problemanalysieren in Richtung produktives Lösungen-(er)finden, also ins neue Paradigma, das wir so dringend brauchen, um weiter zu kommen und vielleicht sogar, um zu überleben.

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Letzte Änderung

17.8.2021