Was ist gewaltfreie lösungsfokussierte Kommunikation?
Der Königsweg zur Erzeugung und Regeneration von Kooperation
Gewaltfreie lösungsfokussierte Kommunikation bezeichnet eine Kombination von zwei Ansätzen der Aufmerksamkeitsfokussierung und der dazugehörigen Verfahren (Heuristiken) für den konstruktiven, kooperativen Gebrauch von Sprache. Durch die Kombination entsteht eine Version der Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg, die in das Paradigma der Lösungsfokussierung der Schule von Milwaukee eingebettet ist und sich damit von der herkömmlichen Gewaltfreien Kommunikation hauptsächlich dadurch auszeichnet, dass sie dem Problemkontext weniger Bedeutung beimisst und die Aufmerksamkeit systematisch auf das lenkt, was funktioniert, also auf den Lösungskontext.
Gewaltfreie Kommunikation im Sinne Rosenbergs bezeichnet eine Aufmerksamkeitsfokussierung im Sprachgebrauch, die auf emotionale Verbundenheit und Wohlbefinden unter den Beteiligten ausgerichtet ist und sich durch Verzicht auf Machtausübung auszeichnet; dieser Aspekt wird durch die Namensgebung zum Ausdruck gebracht. Von der Idee her dient die Gewaltfreie Kommunikation der Verminderung von Leiden und Vergrösserung von Glück im Allgemeinen und der Stärkung von Mitgefühl, Wohlwollen und Wertschätzung gegenüber sich selbst und anderen im Besonderen. Die Gewaltfreie Kommunikation umfasst ein einfaches Repertoire von vier unspezifischen, das heisst allgemein anwendbaren, aufeinander abgestimmten und frei kombinierbaren Kommunikations-Verfahren (Heuristiken). Jedes dieser Verfahren allein verstärkt die konstruktive Wirkung des Sprachgebrauchs, und in ihrer Kombination wird die Wirkung vertieft und gesichert.
Die Lösungsfokussierung ist eine Form der Aufmerksamkeitslenkung, mit der das Wertvolle, Erwünschte und Mögliche hervorgehoben und das Defizitäre, Unerwünschte und Einschränkende losgelassen wird. Sie umfasst ein reiches Repertoire an nützlichen Vorannahmen und einfachen sprachlichen Verfahren zur kooperativen Aufmerksamkeitslenkung und Lösungsfindung. Im Vergleich zu herkömmlichen Sprachmustern, die an einer Problemanalyse anknüpfen, stellt die Lösungsfokussierung einen Paradigmenwechsel dar. Dies zeigt sich vor allem darin, dass in der Lösungsfokussierung auf Einladungen zu detaillierten Beschreibungen des Problems ganz bewusst verzichtet wird.
Die Kombination
Gewaltfreie Kommunikation und Lösungsfokussierung sind in hohem Masse kompatibel. Beide können als allgemeine Sprachmuster verstanden werden und spezifisch für die Veränderung von Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster eingesetzt werden; die gewaltfreie Kommunikation herkömmlicherweise im Bereich der Konfliktlösung und die Lösungsfokussierung im Bereich der Therapie und im Coaching. Die Kompatibilität der beiden Ansätze ergibt sich dann vor allem dadurch, dass sich beide wesentlich an dem orientieren, was sich die Menschen wünschen, an ihren Hoffnungen (Lösungsfokussierung) und Bedürfnissen (gewaltfreie Kommunikation) – und nicht an von aussen durch Dritte vorgegebenen (objektiven) Standards, sei es hinsichtlich richtig und falsch, normal und abweichend, gesund und krank, etc.. Das ist keineswegs trivial, orientieren sich doch praktisch alle herkömmlichen Verfahren zur Veränderung von Denk-, Fühl- und Verhaltensmustern an bestimmten (objektiven und allgemeinen) Theorien und Konzepten über “normal” und “abweichend”, “funktional” und “dysfunktional”. In der gewaltfreien Kommunikation wird dies als eine Form von Machtausübung bzw. Gewaltanwendung grundsätzlich abgelehnt. Und die Lösungsfokussierung zeichnet sich diesbezüglich gerade dadurch aus, dass sie unabhängig von solchen Konzepten und Theorien entstanden ist und funktioniert. Innerhalb der Kompatibilität haben beide Sprachmuster und Verfahren unterschiedliche Stärken, die durch ihre Kombination verbunden werden können. Die Stärken der Verfahren der Gewaltfreien Kommunikation liegen in der Erzeugung von Verbindung und Verbundenheit zwischen den Kommunikations-Beteiligten und damit in der (Re)Generierung, Verstärkung und Sicherung von Kooperation bzw. kooperativer Beziehungen. Dies ist fundamental auch für die lösungsfokussierte Gesprächsführung, wird dort aber vorausgesetzt und daher kaum thematisiert. (Steve de Shazer pflegte auf die Frage, wie er den Rapport mit dem Klienten herstelle, zu antworten: “Ich störe ihn nicht.” [pers. Bericht von Peter Matthias Varga von Kibéd]). Die Stärke der Lösungsfokussierung ihrerseits liegt in der kooperativen Aufmerksamkeitslenkung auf das, was nach Massgabe der spezifisch-konkreten Hoffnungen bzw. Bedürfnisse funktioniert und nützlich ist (Lösungskontext), sowie in der kooperativen Erzeugung von Lösungen und ihrer Unterstützung, Stärkung und Sicherung.
Die gewaltfreie Kommunikation entstand noch in einem problemorientierten Paradigma und enthält daher herkömmlicherweise eine immanente Tendenz zur Beschäftigung mit dem Problem, dem Problemgeschehen und der Problementstehung, also mit dem Zustand nicht erfüllter Bedürfnisse und seinen Folgen und Wirkungen. Oft führt die Verbindung unter den Gesprächsbeteiligten in der gewaltfreien Kommunikation über die empathische Verbindung mit dem Leiden des Gesprächspartners statt. Das kann zu unnötiger Verstärkung des Problems und dem Erleben von Schwere und der Gefahr führen, dass sich das Gespräch im Kreis des Problems dreht. Durch die Einbettung der gewaltfreien Kommunikation in die Lösungsfokussierung wird diese Tendenz zur Beschäftigung mit dem Problem soweit reduziert, als es für die Verbindung (Rapport) notwendig ist und nicht anders und nützlicher erzeugt werden kann, insbesondere durch empathische Verbindung mit den Teilen der Lösung, die schon da sind, das was in der Lösungsfokussierung herkömmlicherweise als Ausnahmen vom Problem bezeichnet wird. Die gewaltfreie Kommunikation und ihre Verfahren gewinnen dadurch nicht nur an Leichtigkeit, sondern erhalten allgemein eine eindeutigere, stärkende Richtung, welche sich in der klaren Lenkung der Aufmerksamkeit der am Gespräch Beteiligten zeigt. Die dabei angewandten Verfahren liefert die Lösungsfokussierung mit ihrem effizienten Verfahrens-Repertoire für die kooperative Entwicklung von Lösungen. Die gewaltfreie Kommunikation wird durch die Einbettung in der Lösungsfokussierung leichter, effizienter, schneller und produktiver.
Entstehung
Die gewaltfreie Kommunikation (engl. nonviolent communication) wurde in den 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts vom klinischen Psychologen Dr. Marshall B. Rosenberg entwickelt. Als ich Marshall Rosenberg kennen lernte, erzählte er mir, dass er dieses Sprachmuster ursprünglich für seine Arbeit mit Jugendlichen entwickelt hatte, die schnell bereit waren, Gewalt anzuwenden, um ihre Ziele zu erreichen. Er hatte sich die Frage gestellt, wie er mit diesen Jugendlichen eine konstruktive Verbindung herstellen konnte, damit sie mit ihm zusammen lernten, wie sie ihre Ziele ohne Einsatz von Gewalt erreichen konnten. Marshall Rosenberg erzählte, dass er vier entscheidende Feststellungen gemacht hatte:
Der Kontakt mit diesen Jugendlichen wurde massiv erschwert, wenn
- er sie irgendwie beurteilte. Dabei spielte es keine Rolle ob die Beurteilung positiv oder negativ war, da sie es nicht mochten, wenn man sich über sie stellte, was bei einer Beurteilung zwingend stattfindet. Demgegenüber kam er in Kontakt und blieb der Kontakt auch, wenn er es schaffte, etwas, was er und die Jugendlichen beide beobachten konnten, einfach als solches zu beschreiben ohne dass die Jugendlichen eine Beurteilung hörten oder bemerkten.
- man ihre Gefühle überging oder abwertete. Sie mochten es vor allem nicht, wenn jemand anders meinte, die Gefühle besser zu kennen als der Jugendliche selbst oder ihm die Berechtigung der Gefühle absprach. Demgegenüber entstand Kontakt und wurde dieser verstärkt, wenn es ihm gelang, die Gefühle der Jugendlichen als solche wahr zu nehmen, zu respektieren und sie passend zu verstehen, egal ob sie ihm gefielen oder nicht. Am besten gelang das, wenn er dies - ebenfalls ohne Beurteilung - zum Ausdruck brachte, am besten verbal und so, dass das, was er sagte mit dem übereinstimmte, was sein Körper signalisierte, er also authentisch war.
- man das, was ihnen wichtig war und was sie wollten nicht ernst nahm. Demgegenüber entstand Kontakt und wurde dieser tiefer, wenn sie merkten, dass er ihre Wünsche und die dahinter liegenden Bedürfnisse ernst nahm - und am besten, wenn er offen herauszufinden versuchte, um welches Bedürfnis es dem Jugendlichen ging.
- man das, was man von ihnen wollte, von ihnen forderte. Sie mochten es nicht, wenn man ihnen sagte, was sie zu tun hatten, wenn man sich über sie stellte, was zwingend stattfand, wenn jemand etwas von ihnen forderte.
Marshall Rosenberg zog daraus vier wesentliche Konsequenzen. Er wollte lernen,
- sich so auszudrücken, dass das, was er beschreibt, keine Beurteilungenn enthält – und er begann zu unterscheiden zwischen „beobachten“ und „bewerten“.
- einen direkten emotionalen Kontakt zu seinem Gegenüber zu haben – und er begann zu unterscheiden zwischen Beschreibungen von „Gefühlen“ und Beschreibungen von beurteilenden „Gedanken“.
- die Bedürfnisse seines Gegenübers zu verstehen, die es mit seinen Handlungen (Strategien) zu befriedigen versuchte – und er begann zu unterscheiden zwischen „Bedürfnissen“ und „Strategien“.
- wie er seine Wünsche so ausdrücken konnte, dass sein Gegenüber keine Forderung hörte – und er begann zu unterscheiden zwischen „Bitte“ und „Forderung“.
Auf dieser Basis postulierte er einen Sprachgebrauch mit einfachen Verfahren, die es ermöglichen sollten, dass alle Beteiligten unter allen möglichen Umständen friedliche Beziehungen pflegen und in kooperativer Weise Lösungen entwickeln können, welche die Bedürfnisse aller befriedigen. Rosenberg war überzeugt, dass das alle Menschen lernen können und wollen, weil sie Menschen sind und Menschen sich und anderen gern das Leben erleichtern und verschönern.
Marshall Rosenberg führte bis kurz vor seinem Tod im Januar 2016 weltweit Trainings in gewaltfreier Kommunikation durch. Ausser als Trainer und Berater wurde er vor allem bekannt als Mediator, der mit gewaltfreier Kommunikation andere für einen friedlicheren Umgang mit Konflikten gewinnen konnte und ihnen beibrachte, wie das mit gewaltfreier Kommuniktion geht. Besonders erfolgreich war er darin, unter verfeindeten Gruppen wieder eine Verbindung herzustellen, die es ihnen ermöglichte (wieder) in Kooperation zu gehen.
Wurzeln
Marshall Rosenberg gibt selbst zwei Haupt-Quellen für das von ihm entwickelte Konzept der gewaltfreien Kommunikation an: Zum einen weist er auf Carl Rogers als Inspirationsquelle und weiter auf Mahatma Ghandis Begriff der Gewaltlosigkeit. Später hat er in seinen Seminaren immer wieder auf Krishnamurti hingewiesen, dem er sich verbunden fühlte. Der Zusammenhang der gewaltfreien Kommunikation mit Carl Rogers Prinzipien der klientenzentrierten Psychotherapie ist sehr deutlich. Fast scheint es, als ob die gewaltfreie Kommunikation oder mindestens Teile davon eine Verallgemeinerung der Konzepte von Carl Rogers darstellen. Im Vordergrund stehen die “Klientenzentriertheit”, die Bedürfnisorientierung und die Bedeutung der Empathie. Wie Carl Rogers orientiert sich Rosenberg grundlegend an dem, was für den konkreten Menschen - bei Carl Rogers der Klient - in einem bestimmten Kontext wichtig ist, und nicht an Theorien über gesund und krank. Zweitens stehen für Rosenberg wie für Carl Rogers an der Basis die Bedürfnisse des Menschen, die er in jeder Situation mit mehr oder weniger Erfolg zu erfüllen versucht. Die Bedürfnisse eines Menschen werden als Motor und Motiv allen Denkens, Wollens und Handelns betrachtet. Eine auch für die gewaltfreie Kommunikation wesentliche Vorannahme Carl Rogers ist, dass Ziel des Menschen ist, seine Bedürfnisse in Beziehungen mit Menschen zu erfüllen. Für Rosenberg heisst das, dass es darauf ankommt, welche Strategien der Mensch anwendet, um seine Bedürfnisse und die der Menschen, mit denen er in Beziehung steht, zu erfüllen. Gewalt ist für Rosenberg Ausdruck von unerfüllten Bedürfnissen; dem betreffenden Menschen fehlen Strategien, mit denen er seine Bedürfnisse befriedigen kann, ohne dass Bedürfnisse anderer nicht erfüllt sind. Die dritte Verbindung zu Carl Rogers zeigt sich in der Bedeutung der Empathie, die in der klientenzentrierten Psychotherapie eine zentrale Rolle für den heilenden Kommunikationsprozess zugeschrieben wird. Für Rosenberg ist Empathie im Sinne des natürlichen Einfühlungsvermögens zentral für eine gelingende Kommunikation. Er schreibt: “Ich habe einen spezifischen Zugang zur Kommunikation entdeckt - zum Sprechen und Zuhören -, der uns dazu führt, von Herzen zu geben, indem wir mit uns selbst und mit anderen auf eine Weise in Kontakt kommen, die unser natürliches Einfühlungsvermögen zum Ausdruck bringt. Ich nenne diese Methode Gewaltfreie Kommunikation.” Im Englischen verwendet er den Begriff “non-violent communication”, was deutlicher zum Ausdruck bringt, was er meint. Das zeigt sich beim Bezug zur dritten Wurzel, wenn er schreibt: “Ich benutze den Begriff der Gewaltfreiheit im Sinne von Ghandi: Er meint damit unser einfühlendes Wesen, das sich wieder entfaltet, wenn die Gewalt in unserem Herzen nachlässt.”
Kurse
Unsere Kurse zur gewaltfreien lösungsfokussierten Kommunikation
Gewaltfreie lösungsfokussierte Kommunikation – die Ausbildung
Start: 24. Oktober 2024
14 Tage
Do–Sa 24.–26. Oktober 2024 (Modul 1)
Do–Sa 28.–30. November 2024 (Modul 2)
Do–Fr 16.–17. Januar 2025 (Modul 3)
Do–Fr 27.–28. Februar 2025 (Modul 4)
Do–Fr 03.–04. April 2025 (Modul 5)
Do–Fr 08.–09. Mai 2025 (Modul 6)
Basel
Beginn 9 Uhr, Ende 17 Uhr
CHF 6'440.–
Gewaltfreie Kommunikation, Lösungsfokussierung, Selbstmanagement, Coaching, Konfliktmanagement, Teamentwicklung, Führung, Familie, Einstellungsänderung
Gewaltfreie lösungsfokussierte Kommunikation – Einführung 2025/1
Start: 21. März 2025
2 Tage
Fr–Sa 21.–22. März 2024
Basel
Beginn 9 Uhr, Ende 17 Uhr
CHF 780.–
Führung, Coaching, Teamentwicklung, Gewaltfreie Kommunikation, Selbstmanagement, Konfliktmanagement, Lösungsfokussierung
Author
»Marco Ronzani«, September 2018
Coaching
Gewaltfreie Kommunikation lernen
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